Kirchenasyl bleibt notwendige Solidaritätspraxis

Kirchenasyl bleibt notwendige Solidaritätspraxis
Erklärung aus der Kirchenasylbewegung anlässlich der zunehmenden Aushöhlung des Kirchenasyls

29. Juni 2018

Dublin-Überstellungen in Transitländer werden immer konsequenter umgesetzt und bewirken, dass viele
Geflüchtete sich in inhumanen sozialen und gefährlichen Verhältnissen wiederfinden. Auch
Abschiebungen in Herkunftsländer mit Gefahr an Leib und Leben wie Afghanistan und Äthiopien
nehmen zu. Dies macht das Kirchenasyl leider notwendiger denn je. Immer mehr Kirchengemeinden und
Ordensgemeinschaften sehen keine andere Wahl als das Kirchenasyl, um Menschen vor
menschenunwürdigen Abschiebungen zu schützen. So macht die Gesamtzahl der derzeitigen Kirchenasyle
(bundesweit 445 aktive Kirchenasyle mit min. 674 Personen, davon 375 Dublin-Fälle, BAG Asyl in der
Kirche, Stand: 17.04.2018) eine sehr angespannte Situation für von Abschiebung Betroffene deutlich,
für die häufig nur noch dieses letzte Mittel eine humane Perspektive und Schutz vor Gefahr an Leib
und Leben eröffnen kann.
Die Tradition des heutigen Kirchenasyls ist eine prophetische Solidaritätspraxis, die in mutigen
Gemeinden entstanden ist und mittlerweile von einer Kirchenasylbewegung getragen wird. Das
Kirchenasyl war somit immer ein selbst bestimmtes Instrument von ChristInnen zum Schutz
elementarer Menschenrechte. Es ist kein den Kirchen vom Staat gewährtes Privileg, sondern beruht
vielmehr auf der Gewissensentscheidung von Gemeinden und Einzelnen in Wahrnehmung ihrer
öffentlichen Legitimation.
In diesem Sinne sollte die Vereinbarung zwischen den Kirchen und dem BAMF vom 24. Februar 2015 dazu
beitragen, Lösungen für die vorgetragenen Härtefälle in den Kirchenasylen zu finden, so dass das
BAMF seine Entscheidungspraxis zumindest in Einzelfällen überdenken könnte: Durch die Einreichung
von Dossiers sollte bei positiver Bewertung die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes und damit die
vorzeitige Beendigung des Kirchenasyls ermöglicht werden. Die Praxis der Erstellung von
Härtefalldossiers war dabei von Anfang an die Zusage des BAMF geknüpft, dass bei negativen
Entscheidungen in den Dossierverfahren das Kirchenasyl weiter von den staatlichen Stellen
respektiert wird. Eine Verpflichtung zur Vorlage, sowie zum Abbruch des Kirchenasyls bei Dossierab-
lehnung wurde damit explizit ausgeschlossen.
Zudem wurde vom BAMF zugesichert, dass es durch die Meldung von Kirchenasylen bei den Behörden
nicht zu Verlängerungen der Überstellungsfristen auf 18 Monate kommen würde, da die Voraussetzung,
dass die Person als flüchtig gilt, durch die offizielle Meldung bei den Behörden nicht vorliegt.
Dass durch die Meldung des Kirchenasyls der Sachverhalt des Untertauchens nicht vorliegt, ist auch
gerichtlich bestätigt worden (vgl. das Urteil des OLG München vom 3. Mai 2018).

Die Entwicklungen zu denen die praktische Umsetzung der Vereinbarung nun geführt hat, beobachten
wir mit großer Sorge: Nachdem die Zuständigkeit für die Dossiers im BAMF aus der
Qualitätssicherungsabteilung auf die Dublin- Abteilung übertragen wurde, ließ die Qualität der
Bearbeitung und die unbefangene Prüfung deutlich nach. Der derzeitige Umgang des BAMF mit den
Dossiers dient vor allem der Bestätigung der eigenen Bescheide, die die humanitären Gesichtspunkte allzu oft außer Acht lässt. Die sehr hohe Anerkennungsquote im ersten Jahr veränderte sich zu fast durchgängiger Ablehnung. Die Behörden überprüfen die Dossiers kaum noch nach humanitären, sondern lediglich nach rechtlichen Aspekten.Gerade diese Zurückdrängung humanitärer Aspekte in der gegenwärtigen Ent- scheidungspraxis des BAMF macht die kritische Funktion des Kirchenasyls notwendiger denn je. Die Kirchenasylbewegung weiß sich der bisherigen jahrzehntelangen Tradition selbstbewussten prophetischen Handelns von Gemeinden verpflichtet und blickt mit Respekt auf deren Gewissenentscheidungen in Härte-fällen, die sie zu einer Gewährung von Kirchenasyl bewegen.

Das gilt umso mehr, als wir eine zunehmende Formalisierung und Verrechtlichung des Kirchenasyls mit Sorge beobachten. Dies drückt sich auch durch das Urteil des OLG München vom 3. Mai 2018 aus, in dem sehr stark auf das Dossierverfahren rekurriert wird. Somit entsteht das Verständnis, dass ein Kirchenasyl seine Legitimation einzig darin habe, eine Überprüfung des BAMF-Bescheides durch das BAMF selbst zu bewirken. Nun wird von der Innenministerkonferenz gefordert, dass Überstellungsfristen auf 18 Monate verlängert werden sollen, wenn das Dossier negativ entschieden oder gar nicht eingereicht wird. Dem müssen wir entschieden entgegentreten. Vor allem gilt: Das Kirchenasyl ist kein juristisches Mittel, sondern muss weiter eine Praxis des Menschenrechtsschutzes bleiben, die einem humanitären, christlichen und seelsorglichem Auftrag folgt.

Deswegen fordern wir gerade in diesen Zeiten, in denen die Beschneidung von Grundrechten von
Geflüchteten immer stärker wird, in denen der rechtspopulistische Diskurs an Lautstärke zunimmt
und das Mittel des Kirchenasyls zurückgedrängt werden soll:

• Das Kirchenasyl muss weiterhin als hohes Gut solidarischer Gastfreundschaft und legitimes
Mittel des Menschenrechtsschutzes geachtet werden.
• Das Kirchenasyl und die Einschätzung eines Härtefalls muss der Einschätzung und Verantwortung
der gut beratenen Gremien der Gemeinden und Ordensgemeinschaften überlassen bleiben. Diese
Entscheidung wird in langen, intensiven Prozessen und Diskussionen getroffen und ist somit eine
Gewissensentscheidung. Sie muss solange respektiert werden, wie sie von den beteiligten
Geflüchteten und Gemeinden aufrecht erhalten wird.
• Kirchen und alle, die Solidarität mit Geflüchteten praktizieren und sich für deren Menschenrechte
stark machen, müssen nun in der Öffentlichkeit ihre Stimme für das Kirchenasyl erheben! Dabei
sollten verstärkt auch die Ursachen des Kirchenasyls benannt werden, die von einer immer inhumaneren     und vom äußeren rechten Rand getriebenen Flüchtlingspolitik aus- gelöst werden und zu
lebensbedrohlichen Abschiebungen führen.

Angesichts der Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 8. Juni 2018, die einer Anerkennung des
Kirchenasyls grundsätzlich widersprechen, fordern wir:

• Die Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate muss gestoppt werden.
• Die Abgabe von Dossiers bzw. deren Ausgang darf nicht an eine Verlängerung der Überstellungsfrist  gekoppelt sein.
•  Das Kirchenasyl ist weder ein Untertauchen von Geflüchteten noch Beihilfe dazu und geht damit
nicht mit einer Übertretung rechtsstaatlich vorgegebener Normen einher. Es fordert somit ein,
rechtsstaatlich respektiert zu werden. Es stellt auch keine Missachtung rechtsstaatlichen Handelns
dar. Als solches muss es geachtet werden.

Nach den Beschlüssen der Innenministerkonferenz muss grundsätzlich neu verhandelt werden, denn
die Vereinbarungen von 2015 können unter diesen Umständen keinen weiteren Bestand haben. Es
sollte von Seiten der Öffentlichkeit und der Kirchen vom BAMF eine Akzeptanz des Kirchenasyls
eingefordert wer- den. Wir hoffen, dass die Kirchen gerade in dieser Situation entschlossen für das
Kirchenasyl öffentlich einstehen.
Initiatoren der Erklärung:
Pfarrer Hans Mörtter, Lutherkirche Köln
Pfarrer Joachim Poggenklass, Ökumenisches Netzwerk Bielefeld zum Schutz von Flüchtlingen, Mitglied
im Vorstand des Ökumenischen Netzwerks Asyl in  der Kirche in NRW e.V.
Diakon David Geitner, Diakon, Vorstand matteo – Kirche und Asyl e.V., Lauf
UnterzeichnerInnen:
Stephan Reichel, Matteo – Kirche und Asyl, Migrationsbeauftragter der Evangelischen Brüder-Unität –
Herrnhuter Brüdergemeine für Deutschland und die Niederlande, München
Thomas Flörchinger, Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW e.V., Köln
Evelyn Meinhard, Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW e.V., Oberhausen
Pfarrer Kuno Hauck, Beauftragter für Kirchenasyl und Migration im Dekanat Fürth
Pfarrer Charly Cervinge, Evangelische Gemeinde Aldenhoven
Konstantin Wecker, Musiker, München
Professor Dr. theol. Hermann Steinkamp, Pastoraltheologe, Münster
Bezirksbürgermeister Andreas Hupke, Köln
Frank Schätzing, Autor, Köln
Wolfgang Niedecken, Musiker, Köln
AK Politik der Kölner Willkommensgruppen Mario Ascani, Sprecher AK Politik Köln
Tanja Dückers, Schriftstellerin und Publizistin, Berlin
Ausschuss für gesellschaftliche Verantwortung des evangelischen Kirchenkreises  Münster
Frank Kreß, Zentrum für Sozial- und Migrationsberatung der Evangelischen Gemeinde zu Düren
Br. Benedikt Hülsmann OSB, Kloster Nütschau

Hanna Hanke, Flüchtlingsbeauftragte, Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg- West/Südholstein
Professor Dr. jur. Holger Hoffmann, Hochschullehrer, Bremen
Bettina Lumm-Hoffmann, Richterin i.R., Bremen
Dorothea Köhler, Darmstadt
Dipl.Ing. Gabi Dierdorf, Freiburg
Rolf Dierdorf, Schulleiter a.D., Freiburg Pfarrer Mathias Bonhoeffer, Köln Pfarrerin Alexandra
Hippchen, Münster Pfarrer Andreas Schwöbel, Darmstadt
Dagmar Rückert, Kirchenvorsteherin der Matthäusgemeinde Darmstadt Professor Dr. theol. Norbert
Mette, Pastoraltheologe, Münster Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche Niedersachsen MediNetz
Bielefeld
Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. (GGUA), Münster
Dr. Julia Lis, Institut für Theologie und Politik, Münster
Doris Nauland, Geschäftsführerin, Verein Zuflucht-Ökumenische Ausländerarbeit
Rolf Sänger-Diestelmeier, Vorstand, Zuflucht-Ökumenische Ausländerarbeit, Bremen
Gerd Thomas
Pastorin Anja Bär, evangelisch-freikirchliche Gemeinde, Auferstehungskirche, Bremen-Lesum
Sibylle Pegel, Evangelisch-freikirchliche Gemeinde, Auferstehungskirche, Bremen-Lesum
Anja Dohmeyer, Evangelisch-freikirchliche Gemeinde, Auferstehungskirche, Bremen-Lesum
Jan-Peter Arning, Evangelisch-freikirchliche Gemeinde, Auferstehungskirche, Bremen-Lesum
Reinhard Bortmann, Evangelisch-freikirchliche Gemeinde, Auferstehungskirche, Bremen-Lesum
Friedbert Klein, Evangelisch-freikirchliche Gemeinde, Auferstehungskirche, Bremen-Lesum
Peter Binger, Bremen
Friedhelm Arning, Vorstandsmitglied des Vereins „Zuflucht“ Bremen
Garten Eden 2.0 – Die Jugendkirche Bremen
Pastor Gunnar Held, Evangelische Immanuel-Gemeinde, Bremen Pastorin Heike Wegener, Evangelische
Kirchengemeinde Horn, Bremen Pastor Matthias Jander, Evangelische St.-Markus-Gemeinde, Bremen
Rainer Leipold, Dipl.-Ing., Seeheim-Jugenheim

Pressekontakt:
Benedikt Kern
Institut für Theologie und Politik Friedrich-Ebert-Str. 7 | D-48153 Münster
Tel. 0251-39995692 | Mobil: 0163-7438704
Mail: nrw@kirchenasyl.de